Widersprüche und Ungereimtes in der Diabetologie
Begleiterscheinungen und Folgeschäden bei Diabetikern sind ein Komplex, in dem Widersprüche in der Diabetologie aufzuzeigen sind. Der wichtigste scheinbare Widerspruch ist sicher durch die ACCORD-Studie ausgelöst worden, bei der (zu scharf eingestellte) adipöse Typ-2-Patienten mit HbA1c-Werten um und unter 6 Prozent eine erhöhte Sterberate hatten im Vergleich zu weniger scharf eingestellten Patienten. Dabei ist allerdings anzumerken, dass dann wieder bei den eher hyperglykämisch eingestellten Diabetikern die Sterberate erneut zunahm, sodass sich eine U-förmige Kurve im Vergleich von Blutzuckerwerten und Sterberate ergibt. Dies zeigte im Übrigen auch eine Kohortenstudie von Currie et al..
Es wäre ein Widerspruch, wenn man nun eine laschere Kontrolle bevorzugen würde. Die UKPDS-Folge-studie hat gezeigt, dass sich eine strikte Stoffwechselkontrolle zu Beginn des Diabetes durchaus lohnt. Allerdings sollte das eben nur für die ersten Jahre des Diabetes gelten, während später bei Auftreten von kardiovaskulären Schäden eine Polypharmazie zum Zwecke einer besonders scharfen Kontrolle zu vermeiden ist. Man spricht zu Recht von einem "metabolischen Gedächtnis", wenn es darum geht, dass in späteren Jahren des Typ-2-Diabetes die Rechnung präsentiert wird, die Einstellung also anfänglich nicht gut war.
Die Tatsache, dass anfänglich die Makroangiopathie nicht signifikant durch eine bessere Einstellung verhindert werden konnte, hat sich langfristig nicht bestätigt, da die Besserungen im Hinblick auf die Makroangiopathie dann - trotz Annäherung der HbAlc-Werte von Prüf- und Kontrollgruppe - signifikant günstiger ausfielen. Mikroangiopathie und Makroangiopathie beherrschen neben der Neuropathie das späte Erscheinungsbild des Diabetes. Für alle diese Komplikationen gilt, dass die Diabetesdauer und die Qualität der Stoffwechselführung von vornherein entscheidend sind. Der "Schädling" Glukose kann hier wirklich Unheil stiften. Dennoch ist zu wenig bekannt, dass auch das inhalierende Rauchen und die Hypertonie nicht nur im Hinblick auf die Makroangiopathie, sondern auch hinsichtlich der diabetesspezifischen Mikroangiopathie ungünstige Einflüsse ausüben.
Im Übrigen gilt, dass Mikro- und Makroangiopathie sowohl beim Typ-1- als auch beim Typ-2-Diabetes auftreten. Die Vermutung, die Mikroangiopathie gelte nur für den Typ-1-und die Makroangiopathie vorwiegend für den Typ-2-Diabetes ist also abzulehnen. Als "Nephropathie" wird jetzt praktisch stets die Glome-rulosklerose bezeichnet, obwohl dies problematisch ist. Schon Joslin hatte darauf hingewiesen, dass das klassische Bild einer diabetischen Nephropathie von den Komponenten Glomerulosklerose, Makroangiopathie und auch Pyelonephritis geprägt wird. Der Begriff "Nephropathie" vernebelt so ein wenig die Spezifität der Glomerulosklerose, die in dieser Form nur bei Diabetes auftritt.
Für wenige Substanzen gibt es verlässliche Studien im Hinblick der Wirkung auf die diabetische Polyneuropathie.
Dies gilt zum Beispiel für die Substanz Alpha-Lipon-Säure. Es wurden damit signifikante Besserungen bei intravenöser Therapie gezeigt. Das steht im Widerspruch dazu, dass die Substanz Alpha-Lipon-Säure praktisch nicht mehr verordnet wird, da sie als angebliche "Lifestyle Drug" nicht mehr rezeptiert werden darf.